„Das Recht auf Wissen muss geschützt werden“
Der Informationswissenschaftler Prof. Dr. Rainer
Kuhlen beobachtet die Entwicklung des Internets mit Sorgegemischten Gefühlen. Angesichts
der zunehmenden Kommerzialisierung von Wissen im Netz fordert er ein stärkeres gestaltendes Engagement
des Staates, aber auch
von Organisationen der Zivilgesellschaft. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte
des Wissenschaftlers von der Universität Konstanz, der zurzeit an der
Humboldt-Universität lehrt, sind die elektronischen Informationsmärkte und die
Theorie informationeller Mehrwerte. Bei Suhrkamp ist sein Buch „Die
Konsequenzen der Informationsassistenten. Was bedeutet informationelle Autonomie
oder wie kann Vertrauen auf elektronischen Märkten gesichert werden“ erschienen.
Als einer von vier Hauptrednern nimmt Prof. Dr. Rainer Kuhlen, Jahrgang 1944,
am internationalen Kongress „gut zu wissen“ der Heinrich-Böll-Stiftung teil.
Berliner Morgenpost: Herr Prof. Dr. Rainer
Kuhlen, warum lohnt es sich, über die Zukunft des Wissens im Internet zu
streiten?
Weil uns einerseits Wissen wie nie zuvor zur
Verfügung steht. Woraus sich ein enormes Innovations-, aber auch Demokratisierungspotenzial
ergibt sowie die Möglichkeit, die Kluft von arm und reich zu verkleinern. Und
wir auf der anderen Seite aber beobachten müssen, dass die Erwartungen an eine freiere und
offenere Gesellschaft durch das Internet sich bislang nicht erfüllt werdenhaben. Ganz im Gegenteil
vergrößert sich diese Kluft sogar noch. In diesem Zusammenhang spielt es eine
große Rolle, dass sich das Internet gerade von einem freien Kommunikationsforumplatz zu einem
Marktplatz der Kommerzialisierung von Wissen umwandelt.
Woran machen Sie das fest?
Das ist doch ganz einfach: Es gibt immer mehr
Produkte, für die man bezahlen muss. Gut, vielleicht muss man in vielen Fällenfür Informationsprodukte
noch nicht bezahlen, weil die Bereitschaft der Nutzer einfach noch zu gering
ist. Aber es gibt ja auch andere Formen des „Bezahlens“, z.B. durchder
Kontrolle: über Passwörter,
Cookies oder eine Registrierung usw. Man spricht im Internet von einem
Digital Rights Management. Also von Techniken der Kontrolle, vergleichbar
dem Leasing, mit
denen genau geregelt werden
kann, wer welches „Stück Wissen“ wielange, für welchen Zweck und für welchen Preis auf Dauer auch der Weg für die
Techniken der Bezahlung geschaffen
werdennutzen kann.
Und was ist das Problem?
Dass wir uns entscheiden müssen, ob Wissen der
Öffentlichkeit gehört oder ob es exklusiv privatisiert, kontrolliert, in Nutzungszonen eingeteilt
und kommerziell genutzt werden darf. Das ist eine Frage, die jetzt entschieden werden
mussauf die
Anworten und Interessenausgleiche gefunden werden müssen,.
Was verstehen Sie genau unter „Wissen“?
Also, das ist natürlich eine sehr grundlegende Frage, die von Aristoteles bis heute sehr breit beantwortet werden kann. Letztlich ist Wissen aber alles, was vom menschlichen Geist produziert wird, sowohl in der Kunst als auch in Wissenschaft, Bildung, Technik und den Medien. Filme und Musik genauso wie ein wissenschaftlicher Aufsatz.
Dann ist das Internet also ein Wissensmedium?
Es hat zumindest das Potenzial, Wissen für jedermann bereitzustellen. Und das muss meiner Meinung nach auch genutzt werden. Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass das Internet auch ein Medium für Unwissen und Halbwissen bis hin zur Lüge ist. Das Internet präsentiert nicht nur die Wahrheit von Wissen, sondern das gesamte Spektrum.
Warum fordern Sie, dass die Politik in die
Entwicklung des Internets eingreift?
Weil das Internet nicht nur dem freien Spiel der Märkte überlassen bleiben darf.
Warum nicht?
Dafür steht zu viel auf dem Spiel.
Was denn?
Es darf nicht sein, dass
Wissen wie jede andere Ware gehandelt wird. Der Zugang auf zum Wissen ist
schließlichmuss
frei bleiben – das
steht schon in der UN-Deklaration der Allgemeinen Menschenrechte. Doch dieses Grundrecht
wird
durchkann
faktisch die durch Kommerzialisierung unterlaufen werden. Das darf dürfen der Staat und Zivilgesellschaft
nicht hinnehmen. Von manchenEine der renommiertesten amerikanischenn Universitäten, nämlich das MIT, en wie dem renommierten MIT wird da
zum Beispiel bereitshat jüngst ein Zeichen gegen die Privatisierung von
Wissen gesetzt, indem ihre sämtliche, Kursu Unterlagen der Kurse für
jeden zugänglich und
gebührenfrei ins Internet gestellt werden sollen. Das ist für mich ein Zeichen gegen die
Privatisierung von Wissen.
Was würde passieren, wenn man den Märkten freien
Lauf ließe?
Sehen Sie sich an, was in abgeschwächter bislang noch spektakulärer Form
bereits beim Fernsehen passiert. Öffentliche Ereignisse, die ins Pay-TV abwandern.
So etwas würde droht auch mit Wissen mit dramatischeren
Konsequenzen für die Zukunft zu passieren. Ich möchte es einmal so
formulieren: Der Zugang zu Wissen ist die Chance für jeden, sich frei
entwickeln zu können. Sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht. Die
Märkte hingegen bieten nur an, was sich auch kommerziell vermarkten lässt.
Damit entscheidet der Markt, welches Wissen attraktiv ist. Das ist einfach nicht
tolerabel, weil sich Wissen damit auf das reduziert, was sich auch verkaufen
lässt.
Mit welchen praktischen Auswirkungen für die
Internet-Nutzer?
Dass alles vorgekaut wird. Filme, Bücher, Videos,
alles.
Gilt die Aussage „Wissen ist Macht“ in Zeiten des
Internets mehr oder weniger als früher?
Weniger?. Oder nein, eigentlich mehr. Wer die
Verfügung über Wissen hat, hat auch die Macht in der Wissensgesellschaft.
Wissen verdoppelt sich zurzeit alle drei Jahre.
Haben wir nicht schon längst ein Zuviel an Wissen?
Ja, vielleicht sollte man deshalb lieber sagen:. Wer die Kompetenz und die (auch
finanzielle) Kapazität für den Zugriff auf Wissen hat, der hat die Macht.
Zu wissen, welches Wissen
es gibt und wie man dran kommen kann, wird wichtiger, als es selber zu wissen. Man
sieht das ja auch daran, dass mit der „Metahrinformation“ im Internet mehr Geld
gemacht wird als mit der Information selber. Zum Beispiel mit Suchmaschinen,
intelligenten Agenten usw.
Wie können diese Zugänge offen gehalten werden?
Offen gehalten? Die Zugangskanäle sind doch die ersten, die schon kommerzialisiert worden sind.
Wieso, Suchmaschinen sind doch alle umsonst.
Ja, das ist schon richtig. Aber sie wir können nicht
kontrollieren, auf welche Weise die Suchergebnisse zustande kommen. Wie sie
wissen, gibt es bereits Suchmaschinen,
bei denen man die ersten Plätze für die Suchergebnisse ersteigern kann. Damit
können sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Ergebnisse objektiv
zustande kommen oder nicht. Vielleicht stehen dahinter kommerzielle
Interessen.
Welche Möglichkeiten hat denn die Politik, die Rahmenbedingungen zu verändern?
Auf die Dauer kann man nur auf
globaler Basis zu Regelungen kommen. Es ist klar, dass die nationale
Zuständigkeit der Regulierung von Internetphänomenen machtlos istwird. Das Internet
führt zu einer Schwächung nationaler
Zuständigkeiten. Aber die WTO ist zum Beispiel gerade dabei festzulegen, dass
man Medien genau so behandeln soll wie andere Waren
auch. Das ist ein Versuch in die richtige Richtung.Bislang scheinen allerdings
internationale Organisationen wie WIPO (für Urheberrechtsschutz) oder WTO (für
freien Handel) eher die Interessen der kommerziellen Informationswirtschaft zu
vertreten. Die
UNESCO ist mit Programmen wie „Information for All“ da eher eine (wenn auch ziemlich
machtlose) Ausnahme.
Würden Sie sich eigentlich als Schwarzseher
bezeichnen?
Gar nicht. Ich bin sogar weniger pessimistisch als
viele Kollegen. Kontrolle
und Kommerz beruhen auf Software. Ich glaube darangehe weiter davon aus,
dass es für jede Software eine Gegen-Software geben wird, die eine totale
Kontrolle der Privatwirtschaftdurch private Interessen
verhindern wird und vernünftige
Ausnahmen des „Fair use“ möglich macht. An diese Hoffnung
klammere ich mich.Wissen und Information werden sich nicht einsperren
lassen.